Homphobie

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Reggae ist meinungsbildend, oder?

Mitten im Kreuzfeuer der Kritik: Buju BantonDer Reggae Sommer 2004 war geprägt durch ein Thema, das die Reggae Szene eigentlich schon seit Jahren als immer wiederkehrendes Problemthema zu schultern hat: Homophobie - also klar ausgedrückt Schwulenfeindlichkeit - in Jamaikanischen Dancehall-Lyrics. Künstler wie Buju Banton, Beenie Man und Sizzla mussten sich als Reaktion auf ihr teilweise schwulenfeindliches Liedgut zahlreiche Konzert- und Tourneeabsagen in Europa gefallen lassen. Dabei kann und sollte man natürlich kritisieren, dass die jeweiligen Verbandsvertreter der Homosexuellen (in Deutschland der LSVD - Lesben und Schwulenverband Deutschland) durch unreflektierte und teilweise auch fehlerhafte / unhaltbare Propaganda Presse und Öffentlichkeit gegen die gesamte jamaikanische Dancehallszene aufgewiegelt haben - nichts ändert das jedoch daran, dass die europäische Musikindustrie und das Publikum das Thema seit Jahren ungelöst vor sich herschieben und damit genau dieser Propaganda Tür und Tor geöffnet haben. Wir möchten hier nicht die ganze Litanei von „Homophobie in der Jamaikanischen Dancehall ist kulturell bedingt“ noch einmal herunterbeten oder die Details der Argumente des LSVD bezüglich zum Beispiel der Gewalttätigkeit von Buju Banton erläutern oder zerpflücken. Das alles ist ausführlich genug und sehr aufschlussreich in der RIDDIM 05/2004 geschehen sowohl in einem Buju Interview als auch in hervorragenden Statements, insbesondere dem von Olaf Karnik. Vielmehr wird es nun Zeit, offensiv an das Thema heranzutreten und damit zu haltbaren Lösungen zu kommen: Für Publikum, Künstler, Verbände und Promoter und das in am Besten genau der Reihenfolge.

Fakt ist, dass Homophobie in Jamaika nicht nur im Dancehall sondern in der gesamten Gesellschaft weit verbreitet ist. Man kann von einer schwulenfeindlichen Kultur sprechen, was aber nicht ein Jamaika-Spezifikum ist sondern eher ein Thema für die meisten religiös geprägten Kulturen darstellt. Ausgeprägter Fundamentalismus in egal welcher Richtung führt bei uns „aufgeklärten und ausgeglichenen Europäern“ immer wieder zum Kopfschütteln - egal ob die Fundamentalisten aus Asien, Arabien, Afrika, Karibik oder Nordamerika stammen. Im Dancehall - bzw. genauer gesagt in der Dancehall - tritt nun diese Schwulenfeindlichkeit lautstark an die Oberfläche und wird als Mittel der Sounds und Artists genutzt, das Publikum auf die eigene Seite zu bekommen, Parolen schreien hat schon immer gut funktioniert, um die Massen zu bewegen. Kenner und Kennerinnen des Landes und der Szene argumentieren hier mit „Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird“, sprich: „Lass den Hund doch bellen, der tut nix.“ Problematisch wird das Thema nun sobald die Musik auf die „Aufgeklärten“ trifft, also in dem Moment wo der Dancehall-Artist Jamaika verlässt und im Ausland sein Brötchen mit Tonträgern und Konzerten verdient. Auf wen trifft denn ein Beenie Man, Vybz Kartell, Bounty Killer, Sizzla oder Capleton wenn er in Köln auf dem Summerjam steht? Es sind genau die Jugendlichen, die Toleranz predigen ob für Schwarz oder Gelb, für Schwul oder Lesbisch, die politische Meinung dieser Jugend ist links geprägt, sie sind gut ausgebildet und äußern das auch. Das gilt für die Rastamützen-Hippie Variante des Reggae-Fans genauso wie für den HipHop-Kopfnicker und alles was dazwischen ist. Ja und was macht das schlaue Publikum? Es grölt die Parolen und singt die Texte mit - nicht wissend, dass sie da zu Mord und Verbrennen aufrufen??? Oder reflektieren die Jugendlichen doch nicht ihr Tun, oder sind sie unterschwellig doch nicht so offen und tolerant?

Es wird jedenfalls Zeit, offensiv mit dem Thema umzugehen. Lange ausführliche und gut recherchierte Artikel in der Riddim - auch solche unterschiedlichster Meinungen - haben nicht zu einer Veränderung geführt. Es wird weiterhin „Bun dem“ geschrieen und der Batty Boy erschossen, ob im Club an der Ecke von der 7’’ oder Live vor und mit 20.000 auf den Festivals. Veranstalter, Künstler und Publikum in Deutschland kennen das Thema, agieren aber alle nach dem Motto: „Die Jungs von der heiligen Insel meinen es doch gar nicht so.“ Aber sie sagen es genau so und das auch in einem Land und mit einem Publikum das andere Werte hat und lebt. Es wird Zeit, dass die Veranstalter nur die Künstler buchen, die sich verpflichten, ihre Gewaltaufrufe und Schwulenfeindlichkeit nicht auf unsere Bühnen zu tragen. Es wird Zeit, dass Labels nur die Stücke auf die Scheiben bringen, die sich mit unserer Gesetzgebung unter einen Hut bringen lassen. Es wird Zeit dass Sounds und Artists laut gegen die Hetze anschreien und die Batty Boy tunes links liegen lassen. Es wird Zeit, dass das Publikum seine Meinung sagt und hate tunes aus den Dancehalls und von den Stages verpfeift. Nur wenn die Akteure im Land deutlich Stellung beziehen, kann sich etwas ändern - entweder an den Lyrics oder an der Auseinandersetzung mit den Betroffenen.

Denn der LSVD wird weiterhin seine Propaganda dagegen setzen und er wird weiterhin seine Erfolge feiern, indem Konzerte abgesagt oder Tourneen gar nicht mehr gestartet werden, solange das Thema weiterhin nur unterschwellig diskutiert wird. Offensiv - das bedeutet agieren nicht reagieren. Dass die Veranstalter der Buju Tournee im Sommer ohnmächtig den Anfeindungen des LSVD gegenüber standen, ist nicht zuletzt mangelnde Vorbereitung schuld. Hätte man die Antworten längst parat gehabt, hätte man sich nicht sogar dumm gestellt, hätte man das schlimmste abwenden können. Dass es nun ausgerechnet Buju getroffen hat, ist schade und vielleicht sogar ungerecht, aber es trifft zeitgleich Sizzla und Beenie Man und wird dazu führen, dass wir 2005 einen rauen Wind erwarten dürfen. Dancehall- und Reggaekonzerte Jamaikanischer Künstler werden - sofern sie überhaupt stattfinden - einen neuen Charakter haben und in der strengen Beobachtung der Öffentlichkeit stehen.

Wirklich offensive Aufklärung tut Not, die Message in die Veranstaltungen tragen. Rot-gelb-grüne T-Shirts mit dem Aufdruck „Mein Freund ist Schwul“ oder sonst irgendein Blödsinn, der hilft das Thema zu transportieren und vor allem Stellung zu beziehen!

Ausführlich diskutiert wird das Thema in der Riddim (immer und monatlich)

Der Verband: LSVD

Text von Peter Beckhaus im Dezember 2004 für Reggaenode.de

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